Der Deutsche Schwimm-Verband e.V. (DSV) hat eine unabhängige Aufarbeitungskommission aus renommierten Expert*innen eingesetzt, um die in der ARD-Dokumentation „Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport“ aufgezeigten Vorwürfe umfassend zu untersuchen. Nun legten die Kommissionsmitglieder Prof. Dr. Bettina Rulofs, Dr. Fabienne Bartsch, Dr. Caroline Bechtel und Prof. Dr. Martin Nolte ihren Abschlussbericht vor, die bislang umfangreichste Aufarbeitung von Vorkommnissen sexualisierter Gewalt durch einen deutschen Spitzensportverband, und gaben konkrete Handlungsempfehlungen für die Zukunft.
In dem Bericht werden auf über 120 Seiten die sechs aus der ARD-Dokumentation bekannten Sachverhaltskomplexe analysiert, wobei aufgrund eines öffentlichen Aufrufs ein dem DSV bisher unbekannter Komplex im Laufe der 18-monatigen Arbeit hinzukam. Es wurden dafür 27 vertrauliche Einzelinterviews mit Betroffenen und Zeitzeug*innen geführt, zudem über 350 Seiten Dokumentation aus dem DSV-Archiv ausgewertet zum Umgang des Dachverbandes, einzelner Landesschwimmverbände und Vereine mit sexualisierter Gewalt und sexistischen Äußerungen der vergangenen Jahre.
Das Ergebnis verdeutlicht, dass es im DSV Fortschritte in Bezug auf Sensibilisierung, Intervention und Prävention gibt, aber weiterer Handlungsbedarf besteht, um Kinder und Jugendliche im organisierten Sport bestmöglich zu schützen. Die Kommission verfolgte das Ziel, strukturelle, organisatorische und normative Empfehlungen zu entwickeln, um den Schwimmsport sicherer zu machen und Missbrauch systematisch zu verhindern. „Aufarbeitung heißt Schweigen brechen, hinhören und Zukunft gestalten“, erklärt der Jurist Nolte dazu: „Nur wer Vergangenheit versteht, kann Zukunft gestalten.“
Als eine zentrale Erkenntnis zeigt sich die Notwendigkeit einer Null-Toleranz-Politik gegenüber Sexualstraftäter*innen im Schwimmsport. „Es ist ein alarmierendes Ergebnis, dass der Schwimmsport in der Vergangenheit Schwierigkeiten hatte, Sexualstraftäter*innen konsequent auszuschließen“, sagt DSV-Vorstandsmitglied Wolfgang Rupieper. „Unser besonderer Dank gilt allen, die ihre Erfahrungen der Kommission mitgeteilt haben und damit helfen, den Schwimmsport künftig sicherer zu gestalten. Der Präsident wird auf alle Opfer von Sexualstraftaten, deren Geschichte im Bericht aufgearbeitet wurde, zugehen und ihnen für ihre Mitwirkung persönlich danken.“
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Zu den Empfehlungen der Aufarbeitungskommission zählen die umfassende Überarbeitung des Disziplinarrechts mit strengeren Meldepflichten, die systematische Sensibilisierung für interpersonale Gewalt sowie einheitliche Verfahren zur Prävention und Ahndung sexualisierter Gewalt. Die Kommission empfiehlt zudem eine gezielte Unterstützung für Gewaltopfer. „Der Erfolg eines Sportverbands zeigt sich nicht nur in Medaillen, sondern in seiner Fähigkeit, Athlet*innen vor Gewalt und Machtmissbrauch zu bewahren und eine Kultur des Respekts zu fördern,“ betont Dr. Fabienne Bartsch.
DSV-Führung kündigt neue Regelwerke noch in 2025 an
Noch vor der DSV-Mitgliederversammlung am 30. November haben das Präsidium und der Vorstand mit dem Leitantrag „Recht auf sicheren Schwimmsport“ erste Maßnahmen vorgeschlagen, um die Empfehlungen der Aufarbeitungskommission konsequent und nachhaltig umzusetzen. Der Antrag sieht die Etablierung eines umfassenden Schutzkonzepts für den Schwimmsport vor, welches präventive Regelungen gegen Gewalt und Machtmissbrauch auf allen Ebenen des Schwimmsports implementiert.
Die Kommission stellt fest, dass im Schwimmsport noch nicht flächendeckend moderne, partizipative Trainingsmethoden etabliert sind. „Die Strukturen in manchen untersuchten Fällen luden Personen mit Tatabsichten dazu ein, Machtmissbrauch zu begehen, ohne entdeckt zu werden“, erläutert Prof. Dr. Bettina Rulofs. „Wir empfehlen dem DSV dringend, sich selbstkritisch zu hinterfragen, an welchen Trainingsstützpunkten und in welchen Vereinen solche gewaltförderlichen Strukturen noch immer fortwähren und die Unversehrtheit sowie das Wohlergehen der Athlet*innen zweifelsfrei nach vorne zu stellen“ so Rulofs. „Und dies gilt selbstredend nicht nur für den Schwimmsport, sondern für alle Verbände.“
DSV-Präsident David Profit bekräftigt: „Allen im DSV Organisierten steht ein Recht auf sicheren Schwimmsport zu. Wer Sexualstraftaten begangen hat, hat keinen Platz im Schwimmsport. Unser Ziel ist es, bis Ende 2025 die notwendigen Änderungen in den Regelwerken vorzunehmen. Es bedarf aber auch eines Bewusstseinswandels, bei dem den Athlet*innen und den Trainer*innen gemeinsam eine Schlüsselrolle zukommt." Daher werden Trainer*innenräte und die Athlet*innenkommission von Präsidium und Vorstand darum gebeten, gemeinsam ein Leitbild für den Leistungsschwimmsport und auch eine NoGo-Liste unerwünschter Verhaltensweisen zu erarbeiten. Profit betont die Bedeutung eines einheitlichen und klaren Schutzkonzepts, um das Vertrauen und die Sicherheit für alle Beteiligten wiederherzustellen: „Wir erleben eine große Verunsicherung bei Trainer*innen, Aktiven und Vereinsvorständen. Ein gemeinsamer Konsens im gesamten Schwimmsport ist entscheidend, um die notwendige Sicherheit zu gewährleisten.“ Nach der Mitgliederversammlung soll eine eigenständige Arbeitsgruppe innerhalb des DSV die Erarbeitung praktikabler Lösungen vorantreiben und der Mitgliederversammlung 2025 zur Beschlussfassung vorlegen.
Der DSV wird die Empfehlungen des Berichts in enger Zusammenarbeit mit den Landesverbänden umsetzen. Die Arbeit der Kommission und der Leitantrag des DSV stehen für einen klaren Aufruf zur Veränderung und setzen ein starkes Zeichen für einen sicheren und gewaltfreien Schwimmsport in Deutschland.