Der Blick ins Mailfach bereitet Wolfgang Hein in diesen Tagen immer wieder mal Kummer. Beim Vizepräsidenten des Deutschen Schwimm-Verbandes e.V. (DSV) laufen nämlich Meldungen ein, die ihn genauso traurig stimmen wie die Absender. „Die Berliner Schwimmvereine sitzen seit dem 16. März buchstäblich auf dem Trockenen“, schrieb etwa die Abteilungsleiterin des Zehlendorfer Turn- und Sportvereins von 1888 e.V. Weder Training noch Schwimmausbildung können seither angeboten werden, weil die Bäder-Betriebe der Hauptstadt den Vereinen trotz Lockerung der Corona-Beschränkungen einfach keine Wasserflächen zur Verfügung stellen. Beholfen werden muss sich derweil weiter mit Landtraining auf dem eigenen Vereinsgelände. „Es entsteht das Gefühl, dass alle anderen Sportarten wieder trainieren dürfen, nur der Schwimmsport nicht“, hieß es in einer Mail.
So krass ist es natürlich nicht ganz, vielerorts ist Schwimmen inzwischen wieder möglich, nur eben nicht im gewohnten Umfang. Doch es gibt leider auch Orte, in denen noch gar nichts geht. „Berichte von erheblichen Einschränkungen für Schwimmerinnen und Schwimmer erreichen uns aus dem Norden ebenso wie aus dem Süden des Landes“, berichtet Hein. „Und für unsere anderen Fachsparten wie etwa Wasserball gibt es offenbar noch fast nirgends Zugang zum Wasser.“
Dabei hatte der DSV mit der Erstellung des Leitfadens für die Rückkehr in den vereinsbasierten Sport ja wichtige Grundlagen erarbeitet, dank derer Vereine bestmöglich auf den Wiedereinstieg vorbereitet werden. Doch eben nicht nur die wegen der nötigen Abstandsregeln verringerte Nutzerkapazität in den Bädern sorgt nun für schmerzhafte Ausfälle bei den Vereinen. „Jede Kommune entscheidet anders, und leider zu viele versuchen offenbar gerade, lieber etwas zu sparen. Da ein Betrieb in Corona-Zeiten derzeit mit höheren Kosten oder auch Einbußen verbunden ist, braucht es hier ein klares politisches und auch wirtschaftliches Bekenntnis zur Kulturtechnik Schwimmen“, erklärt Hein. Vor allem der Mangel an Schwimmausbildung würde sonst für die Folgejahre viele Probleme produzieren. „Die Maßgabe der Kultusministerkonferenz, nach der jeder Grundschüler das Schwimmen erlernen soll, ist mit dem aktuellen Sparansatz einiger Kommunen überhaupt nicht zu vereinbaren“, erklärte Hein.
Um einen besseren Überblick über die Lage in den Schwimmvereinen des Landes zu bekommen und die Erkenntnisse zum Dialog mit der Politik nutzen zu können, startet der DSV eine aktuelle Umfrage und ruft alle Vereinsverantwortliche zur Teilnahme auf.
Die Umfrage wurde inwzischen beendet
Belastbare Aussagen, wie viele Bäder aktuell betroffen sind, sind derzeit nämlich ebenso wenig möglich wie Aussagen zu besonders betroffenen Regionen. „Dazu müssten wir wissen, wie viele Bäder aktuell betroffen sind und wie viele Bäder der verschiedenen Bädertypen es in einer Region überhaupt gibt“, verweist Hein auf ein grundsätzliches Informationsdefizit in Deutschland. Zwar enthält der Bäderatlas der Deutschen Gesellschaft für das Bäderwesen (DGfB) viele Bäder, allerdings sind nur ganz wenige Daten zu den einzelnen Bädern öffentlich verfügbar. Die Entwicklung der Bäderinfrastruktur und Vergleiche zwischen verschiedenen Kommunen sind anhand des Bäderatlas‘ nicht abzubilden.
Nun engagiert sich der DSV seit Jahren in Initiativen, die versuchen, die Datenbasis zu den Bädern in Deutschland zu verbessern und das Problem der ständigen Datenaktualisierung zu lösen. Auch das aktuell laufende Projekt „Bäderleben“ der Hochschule Koblenz wurde von Anfang an unterstützt. Gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), dem Deutschen Verband für Modernen Fünfkampf (DVMF), dem Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) und seit kurzem auch der Deutschen Gesellschaft für das Bäderwesen (DGfB) gelang es, eine Finanzierung durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) zu ermöglichen. Über Auskunftsersuchen bei den Gesundheitsämtern aller Kreise und kreisfreien Städte wurden hier unter der Leitung des Wissenschaftlers Prof. Dr. Lutz Thieme gerade die Adressen der Bäder und Badestellen ermittelt, um nachfolgend alle öffentlich zugänglichen Daten zu recherchieren. Thieme wurde vom DSV inzwischen zum Sonderbeauftragen für Sportentwicklung berufen.
Aktuell enthält die so entstandene Datenbank bereits mehr als 8.500 Einträge. Da zur Charakterisierung der Bäder deutlich mehr Daten notwendig sind als die Angaben, die online zu finden sind, und um eine ständige Aktualisierung der Daten zu gewährleisten, wird auf die Datenbank ein webbasierte Benutzeroberfläche aufgesetzt, mit deren Hilfe Bädernutzer die Daten ergänzen können. Die Nutzervorschläge sollen durch Bad-Paten gesichtet und entschieden werden, die sich in dem Bad bzw. in den Bädern besonders gut auskennen. „Hier suchen wir demnächst gemeinsam mit den anderen Projektpartnern Badpaten“, wirft Wolfgang Hein einen Blick voraus.
Die Ergebnisse des Projekts „Bäderleben“ werden leider wohl erst im Oktober vollständig vorliegen, der DSV möchte im Sinne seiner Mitglieder aber schon jetzt Argumente für eine sportfreundliche Nutzungsstrategie der Bäder gegenüber der Politik liefern. Im Bundestag hatte es bereits im Januar eine Anhörung im Bundestags-Sportausschuss zur Bädersituation gegeben. Die FDP hat im Mai nun sogar eine kleine Anfrage im Deutschen Bundestag eingereicht, die konkrete Aussagen zur Schwimmfähigkeit der Bevölkerung, zur Entwicklung der Todesfälle durch Ertrinken und die Anzahl der Schwimmhallen und geplanten Initiativen oder Investitionen verlangt. „Als DSV möchten wir ebenfalls dazu beitragen, dass das Thema auf der Tagesordnung bleibt“, sagt Hein. Und ruft daher alle Vereine auf, unbedingt an der aktuellen Umfrage teilzunehmen.