Der Deutsche Schwimm-Verband e.V. (DSV) bietet seinen besten Schwimmtrainer*innen eine interessante Fortbildung zur Verlängerung der A-Lizenz an der Universität Bielefeld an:
Thema: Neue Ansätze zum Techniktraining im Schwimmen (Aktuelle Technikleitbilder, Vermittlungsmethoden und Trainingsgestaltung des Techniktrainings).
Zeitpunkt: 24./25. Juni 2023
Ort: Universität Bielefeld (CITEC-Gebäude)
Anmeldung: Hier online
Über die neue DSV-Kooperation mit der Uni Bielefeld
Als Europameisterin ist Isabel Gose zwar längst in der absoluten Spitze des Beckenschwimmens angekommen, trotzdem bekam die 20-Jährige zu Beginn dieses Jahres noch einmal eine völlig neue, nämlich die wissenschaftliche Sicht auf ihren Sport vermittelt. Als erste Aktive wirkte die Magdeburgerin bei einem neuen Forschungsprojekt mit, für das die Universität Bielefeld mit ihrem Arbeitsbereich „Neurokognition und Bewegung – Biomechanik“ mit dem Deutschen Schwimm-Verband e.V. (DSV) kooperiert.
Gemeinsam wird dabei die Gedächtnisstruktur hinter den Schwimmbewegungen ergründet und ein individuelles mentales Profil dazu erstellt, mit dem dann eine potenzielle Verbesserung der Technik im Wasser aufgezeigt oder sogar initiiert werden kann. „Das von Prof. Dr Thomas Schack und seinem renommierten Team in Bielefeld dafür entwickelte Diagnostik-Tool hat in anderen Sportarten bereits großen Anklang gefunden. Seine Möglichkeiten wollen wir nun unbedingt auch für den Schwimmsport nutzbar machen“, erklärte Dr. Alexander Törpel, Bundestrainer Diagnostik im DSV.
Schon durch das Medium Wasser sind die Trainer*innen im Schwimmen bei der Bewegungsvermittlung bekanntlich vor besondere Herausforderungen gestellt: Instruktionen oder Rückmeldungen während der Ausführung sind akustisch nicht direkt vermittelbar wie bei Sportarten an Land, auch ist die biomechanische Analyse im Pool komplizierter. Hilfe im mentalen Bereich funktioniert dagegen wie anderswo auch, doch erst einmal muss das System dafür nun aufwendig fürs Schwimmen evaluiert und zum Beispiel auch die Technikleitbilder für die vier Schwimmarten (samt Start und Wenden) definiert werden, mitunter auch Ausführungsvarianten für unterschiedliche Streckenlängen und somit Geschwindigkeiten. Anschließend sollen für das Diagnostiksystem dann Trainingsempfehlungen und Handlungsmöglichen für die Schwimmtrainer*innen erarbeitet werden.
Grundlage des Ganzen ist, dass die Planung und Steuerung von Bewegungen vom Gehirn aus reguliert werden und somit mentale Prozesse für motorische Handlungen von besonderer Bedeutung sind. Für jede Bewegung werden im menschlichen Hirn Denkmuster hinterlegt. Training und die Korrektur von Bewegungen können daher auch mental erfolgen. Die mentale Struktur im Gedächtnis bzw. Gehirn kann aber auch als Ausgangspunkt für ein individualisiertes Techniktraining genutzt werden. Das gilt für den Abschlag beim Golf genauso wie für den Schmetterschlag beim Volleyball, den Vollspannstoß im Fußball und den Frontflip auf einem BMX-Rad. Für mehr als 100 Sporttechniken sind die idealen Bewegungsabfolgen in den Bielefelder Datenbanken bereits erfasst. Über eine Software kann für sie per Gedächtnismessung festgestellt werden, wie die Bewegungsabläufe im Gedächtnis gespeichert sind und wie gut die jeweiligen Techniken damit beherrscht werden. Und das soll nun bald auch für die vier Schwimmarten möglich sein.
Die Bewegungsabfolge teilen die Forscher*innen dafür immer in verschiedene Knotenpunkte (einzelne Elemente des technischen Vollzugs) auf, der Golfabschlag beispielweise erhielt 16 Knotenpunkte. Der oder die zu analysierende Spieler*in muss Bilder der idealen Schlagsequenz in einer rund 20-minütigen Sitzung immer wieder in die richtige Reihenfolge bringen. Eine Software zeigt der oder dem Aktiven oder auch dem Coach anschließend auf, wo Schwächen oder Fehler zu erkennen sind, an denen gezielt gearbeitet werden kann. „Durch unsere systematische Abfrage erhält man eine Struktur, die zeigt, welche Knotenpunkte für den oder die Sportler*in zusammengehören und welche weiter voneinander entfernt sind. Man kann so erkennen, ob das eine funktionale Struktur ist oder ob es vielleicht eine ganz andere Vorstellung von der Bewegung gibt. Man sieht so genau, woran man arbeiten kann, um eine bessere Struktur zu erreichen“, erklärt Ludwig Vogel, einer der wissenschaftlichen Mitstreiter Schacks. „Auch lassen sich Lernprozesse sehr gut darstellen. Man kann exakt nachvollziehen, wie sich durch ein Techniktraining die Struktur im Kopf oder die Biomechanik dazu ändert.“
Isabel Gose setzte sich zur Ermittlung der Gedächtnisstruktur ihrer Schwimmbewegung auch schon vor den Computer und verglich immer wieder die gezeigten Knotenpunkte ihrer Bewegungsausführung im Wasser (beim Freistilarmzug sind es zwölf) und entschied, wie gut sie zusammengehören. „Ich musste mich da erst einmal reindenken in die Definitionen, das war anfangs schon ziemlich ungewohnt“, erzählte die Freistilspezialistin. „Aber ich will natürlich jedes Verbesserungspotenzial nutzen und arbeite daher sehr gern hier mit. Ich bin auch schon sehr gespannt, was sich im Vergleich mit anderen Schwimmerinnen an Erkenntnissen dabei ergibt.“
Da der Spitzensport aus methodischer und auch biologischer Sicht heutzutage immer weiter ausgereizt wird, sollten auch solche Feinabstimmungen auf mentaler Ebene nicht ungenutzt bleiben. Der DSV wird die Kompetenz der Bewegungsforscher*innen aus Bielefeld daher im größeren Rahmen nutzen und gleich auch die Grundlage zur flächendeckenden Verfügbarkeit des neuen Systems schaffen. Begleitend werden deswegen Fortbildungen zur Verlängerung der A-Lizenz mit den Themenschwerpunkten „Motorisches Lernen“, „Kognitive Bewegungssteuerung“ und „Mentale Technikprofile im Schwimmen“ an der Universität Bielefeld angeboten. Damit in Sachen Technikverständnis künftig alle auf einem Stand sind: dem neuesten.
Hinweis: Dieser Bericht ist zuvor in der März-Ausgabe des DSV-Verbandsmagazin "Swim&More" erschienen. Wer mehr davon lesen will, schließt ein Abo unter dsv-swimandmore.de