Erste Schritte in Berlin in Richtung Olympia 2012. Helge Meeuw war die Begeisterung anzumerken. Er schien fast zu bersten vor Energie, und das, obwohl er gerade erst aus dem Becken gestiegen war, nach den 200 Meter Rücken, seiner längsten Strecke. Er beendete den Vorlauf als Drittschnellster, eine letzte Bestätigung dessen, was Meeuw zuvor schon bei den deutschen Schwimm-Meisterschaften in Berlin angedeutet hatte: „Es macht Spaß, ich bin wieder dabei.“
Der Rückenspezialist Meeuw, 2009 WM-Zweiter in Rom, hat eine lange Auszeit hinter sich. Im vergangenen Jahr verband ihn mit dem Schwimmsport eher eine Art Fernbeziehung, das Medizinstudium hatte Vorrang. Über die Ergebnisse hielt er sich in der Bibliothek auf dem Laufenden. Das fiel nicht immer leicht. „Für mich war es immer klar, dass ich zurückkommen werde, mein Leben lang hat der Sport eine große Rolle gespielt“, sagt der Sohn zweier Spitzenschwimmer. „Wenn ich nicht regelmäßig trainiere, werde ich depressiv. Jeder Leistungssportler wird da kirre.“ Nach abgeschlossenem Physikum stieg er im September wieder voll ins Training ein. Die Rückkehr war mühsam. Der Vorteil war nur: „Wenn man so weit unten ist, sieht man auch schnell wieder Fortschritte.“ Und Meeuw wollte diese Fortschritte, mit allen Kräften. „Er hat mir am Anfang gesagt: ‚Sie müssen mich eher bremsen als in den Hintern treten“, sagt sein Magdeburger Trainer Bernd Henneberg. Und Meeuw hatte nicht zu viel versprochen. Schrittweise steigerten sie die Umfänge auf die derzeitigen zehn Einheiten pro Woche. Mit Erfolg: In Berlin unterbot er über 100 Meter Rücken in 53,76 Sekunden schon im Vorlauf die Normzeit für die WM in Schanghai. Am Freitag wurde er in 25,14 Sekunden Deutscher Meister über 50 Meter Rücken, blieb knapp über der Norm. „Ich denke“, sagt Meeuw, „ich bin ganz gut in Schuss.“
Das wird er in Schanghai auch sein müssen. Die internationale Konkurrenz auf seiner Spezialstrecke 100 Meter Rücken ist gewaltig. Dort gab es auch den ersten Europarekord nach dem Verbot der Hightech-Anzüge, im EM-Finale 2010, durch den Franzosen Camille Lacourt (52,11 Sekunden). Inhaber der alten Bestmarke: Helge Meeuw. Dessen Urteil über Lacourt fällt eindeutig aus. „Ich glaube nicht, dass er ehrlich arbeitet“, sagt er. „Wer so schnell schwimmen kann, hätte das auch vorher mit weniger Training gekonnt.“ Lacourts Leistungskurve dagegen spreche eine klare Sprache. „Ich war vor fünf, sechs Jahren schon auf 53 oder 54 Sekunden, er ist zur Olympia-Qualifikation 2008 noch über 56 Sekunden geblieben. Zwei Jahre später schwimmt er 52,1 Sekunden. Das glaube ich ihm schlichtweg nicht.“ Zumal die Bestmarke auch noch in die Post-Plastikhaut-Ära fiel, in der die Zeiten zunächst fast durch die Bank schlechter wurden. Die beste Textil-Zeit waren bis dato die 52,98 Sekunden des inzwischen zurückgetretenen Amerikaners Aaron Peirsol gewesen, des jahrelang überragenden Rückenschwimmers. Nun war Lacourt knapp neun Zehntel schneller – eine kleine Ewigkeit.
Rückschlüsse, Mutmaßungen, nicht mehr, das weiß auch Meeuw. Es gibt keinen positiven Doping-Test von Lacourt, also gilt er bis auf weiteres als unschuldig. „Das Doping-Kontrollsystem muss einfach noch besser funktionieren“, fordert der 26 Jahre alte Meeuw. In Österreich leitete die Nationale Anti-Doping-Agentur gerade ein Verfahren gegen Kurzbahn-Europameister Dinko Jukic ein. Er hatte eine Doping-Probe offenbar mit dem Hinweis auf hygienische Mängel nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt abgegeben – Ausgang noch offen. Im vergangenen Sommer war der spanische Europameister Rafael Munoz trotz dreier verpasster Tests ohne Sperre davongekommen, weil er für die betreffende Zeit eine psychologisch schwierige Lebenssituation geltend machte. Ausflüchte dieser Art, kritisiert Meeuw, machten es möglichen Betrügern zu leicht, das Kontrollsystem zu umgehen.
Die Freude am Schwimmsport kann ihm die Doping-Problematik trotz allem nicht nehmen. Sein Blick auf die Szene ist nach der Auszeit ein anderer geworden ist – auch durch die Geburt der Tochter Nike Carlotta, die seine Lebensgefährtin Antje Buschschulte im Dezember zur Welt brachte. „Es ist eine eigene Welt, aber eben nur eine Teilwelt“, sagt Meeuw über das Schwimmen. Trotzdem will er sich in dieser Welt noch mal beweisen. Mit allen Konsequenzen. Schwimmtraining ist nicht immer lustig, „man muss eben sein Pensum abarbeiten, großer Gedankengang ist da meist hinderlich“, sagt er. „Es ist nicht immer toll, frierend zum Frühtraining zu fahren, zu wissen, dass man jetzt sechs Kilometer hin- und herschwimmen soll, und das Ganze nachmittags noch mal.“ Doch schließlich ist da dieses große Ziel, das Meeuw seit langem umtreibt – Olympia 2012 in London. Dort will er die so enttäuschend verlaufenen Spiele von Peking vergessen machen. In Berlin hat er nun die ersten Schritte dazu getan.
(FAZ vom 04. Juni 2011, MK)