Heute feiert Frank Otto einen runden Geburtstag. Der gebürtige Berliner, der die seiner Heimatstadt nachgesagten Charakteristika „Herz“ und „Schnauze“ trotz inzwischen ein Vierteljahrhundert währender Mutation zum Schwaben ausdrücklich verkörpert, wird 60 Jahre alt. Davon hat er die meisten mit Wasserball verbracht und dabei Meriten erworben, die in anderen, den Medien weniger als Randsport geltenden, Disziplinen oft mit dem Status der „Legende“ dekoriert werden.
Frank Otto, dessen Nachname Wortspiele wie „Otto … find‘ ich gut“ oder „Otto der Große“ (in Anlehnung an den römischen-deutschen Kaiser des 10. Jh.) regelrecht aufdrängt, ist mit 467 Länderspielen fürs DSV-Nationalteam von 1977 bis 1992 noch heute Rekord-Nationalspieler. Nur Volleyballerin Renate Riek (geb. 1960, aktiv v.a. in Stuttgart) hat mit 518 Auswahleinsätzen (1979-1991) hierzulande mehr. Otto war als Aktiver bei drei Olympischen Spielen (1984/3., 1988/4., 1992/7.), spielte vier WM (1982/3.), sieben EM (1981 und 1989/1., 1985/3.) und sechs FINA-Weltcups (1985/1.1987/3.). Mit Spandau 04 gewann er von 1979 bis 1984 sechsmal in Folge das Double von Meisterschaft und Pokal sowie 1982 und 1984 den Meister-Europacup. Für Spandau war er idealer Vollstrecker, holte ab 1979 fünfmal die Torjäger-Kanone des besten Liga-Torschützen.
Bester Allrounder
Nach der Saison 1984 verließ der Vollblut-Angreifer mit dem markanten Schnauzbart als (Fast-)Alleinstellungsmerkmal im Wasserball seine Heimatstadt Berlin und folgte einem Tipp-Angebot in die schon damals international herausragende Seria A Italiens zu Rari Nantes Camogli (bei Genua). Drei Jahre lang war er dort nicht nur „Mitschwimmer“, sondern einer der Leistungsträger. Dass er 1986 als bester Allrounder ins All-Star-Team der Liga gewählt wurde, ist für ihn bis heute ein Highlight seiner sportlichen Laufbahn. 1987 kam Otto nach Deutschland zurück und schloß sich dem SV Cannstatt an, weil er mit Blick auf Olympia 1988 eine bessere Integration in die Auswahlvorbereitung wollte und zugleich seine berufliche Perspektive dort als chancenreicher ansah.
Letzteres veranlasste ihn auch, andere lukrative Offerten – u.a. erneut aus Italien – abzulehnen. Bei Daimler-Benz wurde er ab 1987 zum Verkäufer für Nutzfahrzeuge ausgebildet, wofür er nach wie vor führend zuständig ist. Seit Beginn der 90er und mehreren Ortswechseln zuvor ist er mit Frau Martina (ein Paar seit den frühen 80ern, seit 1987 verheiratet) und den Kindern Marcella (1992) und Gianni (1995) in Remseck am Neckar bei Stuttgart zuhause. Sportliches Talent haben beide auf jeden Fall in den Genen – die Tochter war Deutsche Jahrgangsmeisterin im Rückenschwimmen, der Filius mit EnBW Ludwigsburg Deutscher U16-Vizemeister im Basketball und versucht nun sein Glück am College in den USA. Sein letztes Spiel als Aktiver bestritt Frank Otto am 3. Juli 1993 in Cannstatt gegen eine Auswahl deutscher Europameister von 1981 und 1989. Drei Monate zuvor hatte er für den SVC, der 2017 aus der DWL in die Zweitklassigkeit abstieg, sein 1000. Bundesligator erzielt. Eine Marke für die Ewigkeit, und das aus Zeiten, in denen noch deutlich weniger Spiele ausgetragen wurden als jetzt.
Doch auch nach dem Karriere-Ultimo galt für Otto das „Niemals geht man so ganz!“. Ende 1993 wurde er 1. Vorsitzender des SV Cannstatt, nachdem er den Hilferuf des vorm Aus stehenden Vereins erhört hatte. Sechs Jahre lang blieb er mit rigorosem, erfolgreichem Sparkurs im Amt und beantwortete danach die Frage, was er in dieser Zeit gelernt habe, so: „Geduld, Kompromißfähigkeit und jeden Tag auf eine neue Überraschung gefasst sein“. Eigenschaften, die ihm die DSV-Funktionäre in Ottos Aktivenzeit oft abgesprochen hatten. „Ich bin nie den leichten Weg gegangen“, sagt er im Rückblick, „aber meine Leistung hat mich stark gemacht, da konnte keiner vorbei“. Obwohl er sich nie in die öffentliche Aufmerksamkeit vordrängte, und er Wasserball hierzulande nach der Jahrtausendwende mehr aus kritischer Distanz verfolgte, ist Ottos Ruf als Fachmann und „Gewusst-Wie“-Kenner und -Könner unbestritten. Die Olympischen Spiele - 2012 in London - hat er sogar nochmal in einer aktiven und kreativen Position erlebt. An der Seite des alten Kumpels John Fox aus Australien, gegen den er bei der WM 1978 in Berlin spielte und dann dessen enger Freund bis in die Gegenwart wurde, amtierte er als Co-Trainer des Aussie-Nationalteams (schon 2010 beim Weltliga-Finale in Florenz und 2011 bei der WM in Shanghai) beim Olympia an der Themse, bei dem Australien am Ende guter Siebenter wurde.
„Wasserball-Rastelli“
Australien war stets sowas wie das „Sehnsuchtsland“ das Wahl-Schwaben mit dem Berliner Herzen, hier hatte er schon 1986 bei den Melbourne Collegians eine Saison als Spieler absolviert, hier fand er Dutzende Freunde, hier verbrachte er regelmäßig seine Jahresurlaube (i.e., Trainer-“Nebenberuf“). Auch als „Senior“ ging er noch als Aktiver ab und an ins Wasser, bestritt immer wieder Masters-WM oder -DM – mal als Teamchef, mal als Trainer, mal als Spieler oder – wenn‘s die Not verlangte – auch alles in Personalunion. 2002 wurde er mit den alten Kumpels in Neuseeland Masters-Weltmeister, 2014 in Montreal gab er in der AK 55 den Spielertrainer. Als die beschleunigte Talfahrt der DSV-Männer mit der zweiten verpassten Olympiateilnahme in Folge in Rio die Notwendigkeit von Reformen unübersehbar machte, sollte der drohende Abschied der einstigen (bundes)deutschen Vorzeigesportart von der nationalen Bühne des Sports verhindert werden, war er da, als ihn der neue Wasserballwart Rainer Hoppe (Uerdingen) um Mitarbeit beim Neuanfang bat. Otto wurde Teil von Hoppes Kern-Kompetenz-Team und des Fachauschusses der DSV-Sparte mit Zuständigkeit für „Internationales Management“. Einen wie Otto mit seiner Biographie und Erfahrung kann man da gut gebrauchen.
Erstaunlich, wie wenig ein Ausnahmesportler und -charakter wie Frank Otto in seiner Aktiven-Zeit und auch danach von den Medien in Wort und Bild gesetzt wurde. Die Leute vom Fach allerdings wussten ihn zu schätzen. Henry Thiedke, um die Jahrtausendwende mehrere Jahre Trainer der Männer des SV Cannstatt nannte ihn „eine Lichtgestalt des deutschen Wasserballsports“, für den früheren SVC- und Auswahlkeeper Volker Wörn war der Mann mit dem Schnauzer „einer der genialsten Wasserballspieler der Welt“ und die „Frankfurter Rundschau“ pries ihn als „Wasserball-Rastelli“. Otto nimmt die alten Komplimente heute mit selbstironischem Grinsen zur Kenntnis. „Ich kann damit etwas anfangen, wenn man in diesem Zusammenhang ‚Kunst‘ von Können und nicht von ‚künstlich‘ ableitet. Das habe ich nie gemocht. Wasserball war für die meisten aus ‚meiner‘ Zeit eine Art Lebenseinstellung. Ich glaube, wir haben den Sport mit wesentlich mehr Herz betrieben, als die meisten es heute tun.“
Klaus Weise
Swim&More Ausgabe November 2017