Auch zum Finale der olympischen Wettbewerbe im Wasserspringen war das Aquatics Center in Paris (FRA) noch einmal bestens gefüllt, 5.000 Zuschauer*innen verfolgten am Samstag in der ausverkauften Halle die abschließende Entscheidung im Turmspringen der Männer. Timo Barthel wusste trotzdem ganz genau, wohin er schauen musste, um im Publikum ein vertrautes Gesicht zu finden. „Mein Blick geht nur zu Mama“, hatte er bereits zuvor gesagt, „sie ist eine große Unterstützung und einfach der wichtigste Mensch für mich. Meine Mutter gibt mir die Kraft, die mir manchmal fehlt.“ Sie fehlte ganz sicher nicht an diesem Tag, an dem für den 28-jährigen Routinier vom SV Halle endlich einmal alles zusammenpasste.
Am Vormittag hatte er sich als Neunter mit 411,50 Punkten für das Finale qualifiziert – zum ersten Mal stand er damit bei einer weltweiten Meisterschaft in einem Einzelfinale, welches er beispielsweise bei Olympia 2021 in Tokio (JPN) als 17. noch verpasst hatte. Am Nachmittag konnte Barthel dann sogar noch einen drauflegen: Mit 446,20 belegte der Hallenser einen ausgezeichneten sechsten Platz; nur ein Deutscher – Martin Wolfram als Fünfter von Rio (BRA) 2016 – war in diesem Jahrtausend noch besser.
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„Ich gönne es Timo so sehr, das ist absolute Weltspitze“, freute sich Bundestrainer Christoph Bohm mit ihm. Und auch Barthel selbst meinte nach seinem Wettkampf sichtlich ergriffen: „Ich hätte mir keinen besseren Abschied von zehn Metern vorstellen können.“ Denn es ist gut möglich, dass er zum letzten Mal vom Turm gestartet ist, nachdem er dort in Paris auch schon Platz sieben im Turm-Synchronspringen mit Jaden Eikermann (SV Neptun Aachen) erreicht hatte. „Ich springe jetzt seit über zwölf Jahren von zehn Metern und habe seit langem mit meinem Handgelenk und mit der Schulter zu kämpfen. Es ist halt eine enorme Wucht. Ich kenne viele aus dem Freibad, die fußwärts eintauchen und da schon sagen: Oh, das tut aber an den Füßen weh. Und wir tauchen nur mit den Händen ein, um jedes Mal einen Schlag darauf zu bekommen“, erklärte er.
Am Morgen vor dem Halbfinale hatte der Europameister von 2023 zudem noch mit Übelkeit zu kämpfen, „wir hatten sogar überlegt, ob wir ihn aus dem Wettkampf rausnehmen“, so der Bundestrainer. „Aber ich habe in den letzten Jahren seit Tokio sehr viel mental gearbeitet und mir immer bewusst eingeredet, dass, egal, was für Steine mir in den Weg gelegt werden, ich das trotzdem irgendwie bewältigen kann“, sagte Barthel. Und es ging direkt sehr gut los, nach den ersten drei Runden hatte er bereits mehr Punkte gesammelt als am Vormittag zu diesem Zeitpunkt. Der 3,5-fache Vorwärtssalto (+19 gegenüber dem Halbfinale) und der abschließende Schraubensalto (+17) waren dann sogar nochmal besser, zudem fiel anders als in den Runden zuvor auch insgesamt kein Sprung deutlich ab. „Ich bin super zufrieden“, meinte Barthel.
Positiv fiel auch die Bilanz des Bundestrainers nach Abschluss der Sprungwettbewerbe aus, auch wenn es nach den Rücktritten solch etablierter Athlet*innen wie Patrick Hausding, Tina Punzel oder Martin Wolfram nach Tokio diesmal kein Edelmetall gab. „Natürlich sprechen alle über Medaillen. Aber wir haben schon im Vorfeld kommuniziert und auch gewusst, dass dafür viel zusammenpassen muss. Die anderen müssen vielleicht Fehler anbieten und wir müssen einen Top-Tag haben. Aber wir sind sehr zufrieden mit den Platzierungen, wir wollten sehr viele Finalplatzierungen und das ist uns in drei von vier Einzeldisziplinen gelungen. Jetzt geht der Blick Richtung Los Angeles, da wollen wir angreifen und eine Medaille holen“, sagte Bohm.
Die goldene ging auch diesmal wieder nach China, zum achten Mal bei diesen Sommerspielen. Damit haben die Springer*innen aus dem Reich der Mitte in Paris alle Sprungwettbewerbe gewonnen – ein historischer Durchmarsch, das hatten auch die bekannt starken Chines*innen noch nie geschafft. In einem spannenden Wettkampf musste Tokio-Olympiasieger Cao Yuan allerdings schon alles aufbieten, um mit 547,50 abermals zu triumphieren. Sein Landsmann Yang Hao, immerhin amtierender Weltmeister, leistetet sich dagegen mehrere Patzer und wurde am Ende sensationell Letzter (390,20); Silber und Bronze gingen stattdessen an Rikuto Tamai (JPN/507,65) und Noah Williams (GBR/497,35).
Timo Barthel dachte nach dem Wettkampf dann gleich wieder an seine Mutter. „Ich werde sie mit ins Deutsche Haus nehmen. Am liebsten hätte ich hätte ihr auch das Olympische Dorf gezeigt, aber das geht leider nicht. Aber ich freue mich jetzt unheimlich, gleich hier rauszugehen und sie in die Arme zu schließen.“ Kommende Woche fliegen beide dann gemeinsam in den Urlaub nach Malta, seine Mutter überwindet dafür extra ihre Flugangst, wie Barthel berichtete. Die Familie beflügelt eben, im Sport wie im Leben als solches.